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Völkerrecht vor Landesrecht - Wollen wir das?

Erschienen am: Di, 13.08.2013

Leserbrief zum Artikel "SVP befeuert Debatte um Gericht" im Tagblatt vom 13.08.13

Mit Urteil 2C_828/2011 vom Oktober 2012 haben fünf Bundesrichter einen veritablen juristischen Staatsstreich inszeniert und damit unsere Bundesverfassung ausgehebelt. Ein noch nie da gewesener Skandal, den sich nur eine Bananenrepublik leisten sollte! Ausgerechnet unsere oberste Judikative verletzt mit diesem Urteil das Prinzip der Gewaltentrennung und schwingt sich zum Gesetzgeber auf. Es äussert sich ausdrücklich zum Vorrang der nicht zwingenden EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) vor unserem Verfassungsrecht. Dies hat für unsere Demokratie fatale Auswirkungen. Martin Schubarth - alt Bundesrichter und SP-Mitglied, einen unverdächtigeren Zeugen kann man sich wohl kaum vorstellen - meint dazu: „Bei der Lektüre der Urteilsbegründung sitzt der Schock tief. Das Gericht ändert die Verfassung in ihren Fundamenten. Neu ist danach der EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte), genauer ein kleines Gremium von sieben ausländischen Richtern, die oberste Gewalt im Bunde. Was diese Ausländer ohne jede demokratische Legitimation beschliessen, steht über der Verfassung der Schweiz. Der demokratisch gewählte schweizerische Gesetzgeber, ja sogar Volk und Stände als souveräner Verfassungsgeber, sind insoweit abgesetzt. Das ist ein juristischer Staatsstreich erster Klasse.“

Im eingangs erwähnten Zeitungsartikel glaubt der Völkerrechtler Daniel Thürer beschwichtigen zu können: "Das Bundesgericht habe sich beim Entscheid um den Mazedonier primär auf Landesrecht und nicht auf Völkerrecht gestützt." Thürer versucht offensichtlich, dem Problem Wind aus den Segeln zu nehmen. Jedoch ist seine Aussage schlicht falsch und somit auch seine parteiische Gesinnung entlarvt. Denn die kantonale Vorinstanz berief sich auf Landesrecht und verwies den kriminellen Mazedonier des Landes. Nicht aber das Bundesgericht. Dieses entschied, der Entzug der Niederlassungsbewilligung sei gemäss EMRK (= nicht zwingendes Völkerrecht) unverhältnismässig, ein zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilter Krimineller darf nicht in sein Heimatland ausgewiesen werden, weil es seinen Familienangehörigen nicht zuzumuten sei, getrennt von diesem Kriminellen oder gemeinsam in Mazedonien leben zu müssen. Das Recht krimineller Ausländer auf Familienleben in der Schweiz wird also dank nicht zwingendem Völkerrecht bundesrichterlich höher eingestuft als das Recht der Einheimischen zum Schutz vor Kriminellen. Wollen wir das wirklich?

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